Aus der Praxis

Wie wirkt Sprachtherapie?

Hier finden Sie Beispiele, wie atS in der konkreten Praxis gewirkt hat.

Patientin, 49 Jahre
Diagnose: Zunehmender Schmerzmittelabusus bei chronischen Kopfschmerzen
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Martina Lempelius, Dr. med. Pieter J. Wildervanck, Frau X

1.1 Allgemein:

Gelernte Pharma-Assistentin, seit 25 Jahren verheiratet, seitdem Hausfrau und Mutter von nun drei erwachsenen Kindern (19, 21, 23 Jahre). Überweisung durch das Kantonsspital Liestal)

1.2 Behandlungsdauer:

23 Therapieeinheiten stationär à 30 Minuten, verteilt über 5 Wochen; sieben Therapieeinheiten ambulant. Beobachtungszeitraum zunächst zehn Wochen.

2.1 Ersteindruck:

Die Patientin zeigt wenig Ausdruck, keine äussere und innere Spannung; sie wirkt weich und schwer, hat wenig Muskelspannung im Körper. Der Gang ist langsam und bedächtig, ihre Haltung in sich zusammengesackt. Man hat von ihr meistens den Eindruck, dass sie nur steht ( bei pyknischer Konstitution). Ihre Erscheinung hat etwas kindliches. Der Gesamteindruck ist blass und grau, auch die Kleidung. Das Gesicht wirkt farblos, etwas aufgedunsen. Sie trägt füllige, lange, graue, wellige Haare, einmal zum Schwanz zusammengebunden, ein anderes Mal hochgesteckt. Die Atmung ist flach, die Einatmung überbetont. Sie spricht kurze Sätze. Einen Händedruck gibt es nicht. Die Hand bleibt beim Begrüssen weich und unbeteiligt. Ihre seelische Stimmung ist introvertiert, der Klang der Stimme gleichförmig. Die Patientin wartet ab, es geht keine Aktivität von ihr aus, ausser einer freundlichen Offenheit für eine mögliche Hilfe durch die Therapie. In der sozialen Kontaktaufnahme ist sie tastend und vorsichtig. Sie kann der Aussenwelt nur schwer Eigenes entgegensetzen - ist zu "offen" für alles, was von aussen an sie herantritt. Es zeigt sich eine hingebungsvolle, aufopfernde Gemütsart, die an ihre Grenzen getrieben zu sein scheint.

2.2 Biographische und medizinische Aspekte:

Stationäre Einweisung ins Kantonsspital Liestal (KSL) wegen zunehmendem Schmerzmittelabusus bei chronischem Kopfschmerz psychosomatischen Ursprungs. Seit August 1999 intensive Kopfschmerzen mit der Folge übermässiger Analgetikaeinnahme. Ab Mitte November 1999 bis kurz vor Weihnachten 1999 in der Ita Wegman - Klinik. (Die Patientin war im November 1998 schon einmal im KSL hospitalisiert und wurde mit deutlicher Symptomatikverbesserung entlassen).


Heute: Migräneartige Kopfschmerzen mit allen Begleitleiden: Schwindel, Augenflimmern, Licht- und Lärmempfindlichkeit, Übelkeit, chronische Nackenschmerzen, chronische Bauch- und Verdauungsbeschwerden (Wechsel von Obstipation und Diarrhöe), Einschlafen von Fingern und Füssen, kalte Hände und Füsse. Der chronische Kopfschmerz führte zu einer ängstlich - depressiven Entwicklung mit vorübergehenden Suizidgedanken. Permanente Müdigkeit.

Psychische Probleme verdrängt sie, staut alle Sorgen und geht den Auseinandersetzungen aus dem Weg. Sie leidet unter unausgesprochene Ängsten (z.B. im Dunkeln) und hat zuletzt als Kind geweint. Die chronischen Kopfschmerzen bestehen seit ihrem 15. Altersjahr, die Obstipation seit der Kindheit. Sie hatte zwei Lungenentzündungen und rezidivierende Sinusitis. Im Alter von 37 Jahren Hysterektomie. 1996 litt sie unter starken Gelenkschmerzen, die durch eine homöopathische Behandlung fast vollständig ausgeheilt waren. In der Ita Wegman-Klinik hat sie ersten Kontakt mit Therapeutischer Sprachgestaltung.


2.3 Sprachtherapeutische Diagnose:

Haltung: Langsames, bedächtiges, tastendes Gehen. Die Gestalt ist weich, in sich etwas zusammengesackt. Der Auftrieb ist schwach. Die Haltung hat einen passiv - abwartenden, zurückgenommenen Charakter. Beim Laufen der Übungen zeigt sich ein fast schwebender Gang. Die Patientin gerät dabei ab und zu aus dem Gleichgewicht. Sie hat wenig Gestik von sich aus, der Muskeltonus ist sehr schwach.

Atmung: Die Sprache kann durch den Atem nicht in die Tiefe und Weite geführt werden. Der Atem bleibt im oberen Menschen stecken und führt zu einer etwas stockenden Sprachführung. Die Einatmung ist überbetont. Die Atemkapazität umfangreich, nur gar nicht ausgelastet.

Stimme: Die Stimme ist gleichförmig, wenig moduliert, der Stimmkern im Hintergrund - zurückgezogen, der Stimmeinsatz vorwiegend weich. Die Stimmkonstitution wirkt von Natur aus kräftig, aber zeigt sich nicht ihrer Natur gemäss, sondern zurückgehalten.

Artikulation: Die Sprache imponiert als wenig geformt. Der Artikulation fehlt eine gesunde Dichte. Die Lautbildekraft der Konsonanten ist geschwächt. Das "W" sehr trocken und nicht mit dem Atemstrom verbunden. Das rollende "R" fällt der Patientin nicht leicht, ihr "G" bleibt im Gaumen stecken und löst sich nur schwer in den Atem hinein.

Denken: Sehr geschwächtes Konzentrationsvermögen und Kurzzeitgedächtnis mit einem nur langsamen Auffassungsvermögen beim Vorsprechen neuer Übungen und Texte. Sie spricht eher langsam.


3.1 Therapieziel:

Die Therapeutische Sprachgestaltung soll der Patientin helfen, ihre Ich-Organisation besser im unteren Menschen zu verankern und dort Wärmeprozesse anzuregen, die offenbar seit der späteren Kindheit nicht genügend eingegriffen haben (Siehe 2.2). Dies könnte über Vertiefung und Konzentration der Atmung zum Kraftpol und durch geformte, dichte Konsonantenbildung geschehen. Solche aktiv geformten Konsonanten würden helfen, die Nerven-Sinnesorganisation von überschiessenden Stoffwechsel-prozessen zu befreien und dem Kopfpol seine gesunde Abbautätigkeit zu ermöglichen.


Ein wichtiges Ziel ist weiterhin, der Patientin das Vertrauen in ihre Selbstheilungskräfte zurückzugeben. Solches Vertrauen würde helfen, von der Ich-Organisation aus die Seele in eine gesunde Verbindung zum Körper zu bringen, indem sie den Willen neu ergreifen und einsetzen kann.


3.2 Therapieverlauf:

Es gab in der bisher durchgeführten Therapiezeit zwei grössere Arbeitsphasen:
Hier wurde angestrebt, die Lautbildekräfte formend-plastisch zu verdichten, den Atem zu bündeln und in eine erste Vertiefung zu führen.

Die Übungen wurden zunächst begleitet von verdichtenden, körpernahen Gebärden. Bei "Nimm nicht Nonnen" ergab sich die begleitende Geste des "sich Absetzens", der Verneinung; bei den "M" - Übungen wurde die Patientin angehalten, ihre beiden Hände zu fassen und in steigendem Rhythmus gegeneinander zu drücken. Dies regte die Wärmebildung an und in ihrer Sprache wurde sofort eine bessere Durchdringung des Körpers hörbar. Bei den kräftigen Stosslautübungen wurde das Ergreifen konturierter Worte erarbeitet. Bei "Ketzer petzten" wurde die begleitende Geste bis in die Verdichtung zur Faust geführt, die auf Höhe des Zwerchfells (dem Bereich der Tiefenatmung) vor jedem einzelnen Wort geballt und dann während dem Aussprechen der einzelnen Worte wiederum gelöst wurde.

Schwer fiel der Patientin anfangs, die Übungen sogar beim Nachsprechen zu behalten. Daher mussten diese viel wiederholt und längere Texte noch zurückgestellt werden.
Von Anfang an war die Patientin nach fünf bis zehn Minuten beschwerdefrei. Dieser Zustand konnte sich in den ersten drei Wochen nach der Therapie zunächst nicht lange halten. Dadurch, dass die Patientin auch ausserhalb der Therapiestunden sich innerlich mit dem Behandelten weiterbschäftigte, war es ihr möglich, selbständig hier und da eine kleine Aufhellung ihres Zustandes zu erreichen.

Die Übungen wurden mehr und mehr vertieft und der Atem bekam mehr Fundament. Die Patientin übte bald selbst zwei- bis dreimal am Tage, und es stellten sich bald mehrstündige Schmerzpausen ein; ab der dritten / vierten Woche blieb die Patientin nach der Therapie meistens eine bis drei Stunden schmerzfrei. Durch die regelmässige, wiederholte Wirkung der Sprachtherapie entwickelte sich aus zunächst ungewisser Hoffnung ein leises Vertrauen in die eigenen Selbstheilungskräfte.
Hier wurde das Geübte gefestigt. Die Patientin konnte die Übungen nach und nach auswendig, was ihr zusehends innere Sicherheit gab.

Einige hinzukommende Übungen sollten den Atem nun in einen Strom hineinführen, wodurch die Patientin die eigene Stimme einerseits in einen warmen, vollen Klang bringen konnte und andererseits sprachliche Bewegungserlebnisse im Atem möglich wurden. In der Übung "Kurze knorrige" wiederholte sich das Üben des kräftigen Stosslautes "K" in Verbindung mit dem "N", durch welches die Stimme nach vorne geholt werden konnte; im zweiten Teil der Übung wurde der warme Sprachstrom durch die Nasallaute wiederholt und versucht, das Sprechen in einen fliessenden Atemstrom überzuführen.
Dann konnte der reine Vokalklang im "O" gewagt werden, das ein starkes, hingebungsvolles Hineinträumen in Atem, Stimme und Seele entstehen liess und jedes Mal mit dem "M" sauber abgeschlossen wurde.

Mit "voll Lob" sollte die runde, volle, den Atem umfassende Stimme ergriffen werden, und in der Übung "Sturmwort" der Atemstrom ganz in die Bewegung gebracht werden.
Im weiteren Verlauf der Therapie gab es bald auch ganze kopfschmerzfreie Tage.
Die Patientin entwickelte der Therapie gegenüber eine zunehmende Ernsthaftigkeit und beteiligte sich immer aktiver am Prozess. Ihr Gesamteindruck war geformter. Der Körper, vor allem das Gesicht, wirkten weniger aufgedunsen. Die Patientin übte weiterhin zu Hause täglich ein- bis zweimal und wurde selber bald sicherer in der Handhabe der Übungen. Nach diesen zehn Wochen Sprachtherapie fuhr die Patientin zwei Wochen in die Ferien.


4.1 Befund nach Abschluss der stationären und ersten ambulanten Therapiephase:

Da die Kontinuität des schmerzfreien Gesundheitszustandes noch nicht hergestellt ist und es immer wieder zwischendurch auch recht schlechte Tage gibt, wird die ambulante Therapie weitergeführt, um im Sinne des obengenannten Therapiezieles nachhaltiger auf die gesunde, vertrauensbildende Verbindung der Seele mit dem Körper hinzuwirken. Dies geschieht vor allem durch Vertiefung und Weitung des Atems und Stärkung der Konzentration und damit des Gedächtnisses. Parallel wird auch die Heileurythmie weitergeführt. Beide Therapien sind für die Patientin z.Zt. Zentrum ihres Gesundungsprozesses.

In den letzten beiden Wochen vor ihren Ferien fiel auf, dass sie sich farbenfroher und heller kleidete. Sie äusserte, dass es ihr Ziel sei, wieder eine halbtägige Arbeit zu suchen, sobald sich ihre Gesundheit stabilisiert habe.

Für die Patientin wird das wichtigste Ziel sein, sich durch gestärkte innere Sicherheit und Selbstvertrauen ihren eigenen freien Lebens- und Arbeitsbereich neu zu erobern.


5.1 Aus dem Bericht der Patientin ca. 9 Monate nach Therapiebeginn:

Seit über 20 Jahren leide ich an Kopfschmerzen und Migräne. Ich war bei mehreren Ärzten und auch im Spital. Alles half nichts. In der Ita-Wegman-Klinik verordnete mir der Arzt Sprachgestaltung. Nach der ersten Therapie merkte ich schon, es hat nichts mit Sprachfehlern zu tun, sondern bedeutet das Sprechen in die Tiefe des Körpers hinunter und nicht nur bis zur Brust. So lernte ich immer mehr den Stau im Kopf und im Körper mit dem Sprechen zu lösen. Nach den ersten Stunden waren die Kopfschmerzen dann schon für 15 Min. weg. Nach 2-3 Wochen sogar schon für 30 Minuten. Dies war ein grosser Erfolg für mich. Jetzt bleiben sie, wenn ich zu Hause übe, 30 Minuten weg, nach einer Therapie 7-8 Stunden. Auch die Schmerztabletten werden immer weniger. Im Moment sind es innert 2 Wochen nur noch 4 Tabletten. Mit den Sprachübungen lerne ich immer mehr das "Ich" zu spüren und um mich herum einen Schutz zu bauen. (...) Ich bin ganz überzeugt, dass ich mit der Zeit die Kopfschmerzen und die psychischen Beschwerden mit der Sprachgestaltung zu Hause für mehrere Stunden "wegzaubern" kann.


6.1 Aus dem Bericht des behandelnden Arztes bezüglich Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Therapie:

In Bezug auf Frau X. kann ich folgende Angaben machen: Die Patientin wurde uns stationär, nach ausführlichen wiederholten Abklärungen wegen chronischer Kopfschmerzen und Schmerzmittelabusus, eingewiesen. Mittels Konsilien und Untersuchungen waren organische Ursachen weitgehend ausgeschlossen, und wir stellten die Diagnose einer schweren somatoformen Störung bei depressiver Entwicklung mittleren Grades und abhängiger Persönlichkeitsstörung.
Die Prognose für eine vollkommene Heilung bei Persönlichkeitsstörungen ist in der Regel schlecht, da diese Störungen weder psychotherapeutisch noch pharmakotherapeutisch leicht zugänglich sind. Ausser den anthroposophischen Medikamenten machte die Patientin Sprachgestaltung und Heileurythmie. Wir konnten unmittelbar alle allopathischen Schmerzmittel absetzen, die Patientin gewann Selbstwertgefühl und verbesserte sich erstaunlich. Sie wurde nach der Entlassung, unter belastenden sozialen Umständen, teilweise rückfällig. Jetzt sind die Fortschritte langsamer, aber der Schmerzmittelverbrauch ist auf 1/3 reduziert und die Erfolgserlebnisse, auch für die Patientin, eindeutig. Durch die Therapeutische Sprachgestaltung gewinnt sie zunehmend "Gestalt". Sie ist sicherer und ihre Kopfschmerzen eindeutig besser. Sie hat gelernt, die Übungen selber zu machen und weiss sich damit zu helfen, statt nach Schmerzmitteln zu greifen.
Erstmals kann sie sich genügend konzentrieren um Gedichte zu memorisieren was für sie ein Schritt in der Zurückgewinnung des Selbstvertrauens ist. Die Auswirkungen im Sozialen sind u.a.: Bessere Arbeitsfähigkeit, selbständig telefonieren (was sie vorher nie tat), ihren Willen durchsetzen u.s.w.

Es ist eindrücklich, dass man u.a. durch Therapeutische Sprachgestaltung einen Zustand (Persönlichkeitsstörung) behandeln kann, der für herkömmliche Behandlungsmodalitäten schwer zugänglich ist. Die Kosteneffizienz ist im gegenwärtigen Stadium noch schwer mit Zahlen zu belegen, da die Patientin noch regelmässige Begleitung braucht. Da sie aber Übungen lernt, die sie auf Dauer auch ohne Therapeutin durchführen kann, bin ich ganz sicher, dass wir durch die Therapie unnötige und steigende Medikamenten und Hospitalisationskosten bei dieser Patientin einschränken können.

Patientin, 43 Jahre
Diagnose: Kolitis ulcerosa

Dietrich von Bonin, Dr. med. Andreas Giger, Frau X

1.1 Behandlungsdauer:
22 Therapieeinheiten, 30 Minuten wöchentlich. Später weitere Auffrischungs-Blöcke verschiedener Länge. Beobachtungszeitraum 8 Jahre.

2.1 Ersteindruck:

Zögernde Patientin mit hölzernen Bewegungen. Man hat den Eindruck, als ob die Sprache an ihr kleben würde, sie öffnet den Mund wenig. Kommt, weil der Arzt sie geschickt hat. Eine Persönlichkeit, die sich selber zurücknimmt.

2.2 Biographische und medizinische Aspekte:

Starke Abgrenzungsschwierigkeiten. Ihr Mann reklamiere ständig über angebliche Unordnung im Haushalt, obwohl sie eine ordentliche Frau ist. Sie habe grosse Entscheidungsprobleme. In der 1.Klasse wurde sie zur Strafe auf die Fingerknöchel geschlagen, wenn die Aussprache nicht richtig war. Dadurch zunächst gestörtes Verhältnis zur Sprache. Hysterische Konstitution. Die Patientin bekam ab 30 Jahren wiederholte Durchfälle, beginnend nach der Geburt des 1. Kindes. Lange keine pathologischen Veränderungen des Kolons. Mit 40 Jahren Diagnose einer subakuten Kolitis ulcerosa. Nach weiteren 3 Jahren starker Schub mit blutigen Durchfällen und Gewichtsverlust von 6 kg. Aufenthalt in der Ita-Wegman Klinik. Dort erster Kontakt mit Therapeutischer Sprachgestaltung.

Medikamente: Salofalk® und anthroposophische Präparate. Zur Kolitis kam eine Anämie, die vom zuweisenden Arzt als weitere Indikation für Sprachgestaltung gewertet wurde.

2.3 Sprachtherapeutische Diagnose:
Haltung: Steif, aufrecht, zögerndes Schreiten. Beobachtend, misstrauisch. Gelaufene Rhythmen militärisch starr. Schwierigkeiten, in Gesten zu gehen. "fremdes" Verhältnis zu den Gliedern. Atmung: Stockende Hochatmung mit geringer Amplitude. Die Sprache kann durch den Atem nicht ergriffen und hinausgeführt werden.

Stimme: Unmoduliert, monoton. Zuerst überhaucht, später auf Verlangen gleichmässig laut. Sie empfindet nichts beim Selber-Sprechen, nur wenn sie Dinge vorgesprochen bekommt.

Artikulation: Zuerst alle Konsonanten schwach. Durchgehend auffällig die unplastischen Lippenlaute. Das W wurde lange falsch, d.h. mit beiden Lippen gebildet.

Denken: Gegensatz zwischen sehr feiner Sprachwahrnehmung (- in Italien habe sie wie eine Italienerin intoniert -) und sehr schlechtem Auswendiglernen. Die Verbindung zum Ätherleib schien gestört. Sonst eine intelligent formulierende, differenzierte Frau.

3.1 Therapieziel:
Ihr eine neue Möglichkeit geben, die Sprache und damit das Seelische mit dem Körper zu verbinden. Dadurch soll sie die Abgrenzung gegenüber ihrem Mann lernen. Den Astralleib soweit stärken, dass er seine gesunde Polarität im Körper zusammen mit der Ich-Organisation wieder zurückerhält, und die auflösende Tätigkeit im Stoffwechsel beenden kann. Sprachlich bedeutete dies, die Stimme an den Konsonanten (Stosslaute) als Ausdrucksmittel ihrer selbst zu erleben. Dem Atem seine Weite zurückgeben.


3.2 Therapieverlauf:
Es wurden vor allem 2 Wirkungsarten verwendet: Eine formend-plastische Sprache während der Kolitis-Schübe. Diese Übungen wurden von konzentrierten, körpernahen Gesten und entsprechenden Schritten begleitet. Besonders ein spürendes Stützen der Hände auf die Hüften bei der Übung: "Ganz kurze..." erwies sich als wirksam. Mit diesen Übungen gelang es der Patientin nach der ersten Therapiephase, die besonders bei seelischen Belastungen auftretenden Kolitis-Schübe immer schneller in den Griff zu bekommen. Durch diese Erfahrung bekam sie Vertrauen in ihre Selbstheilungskräfte und konnte der Angst vor einer erneuten Verschlechterung immer erfolgreicher entgegentreten. Im Beobachtungszeitraum von 5 Jahren gingen die Schübe immer weiter zurück, und sie konnte bei den ersten Anzeichen längerer Durchfälle mit den erwähnten Übungen die Dynamik immer früher unterbrechen. Eine ausstrahlend-kräftige Reihe, die ihr Durchsetzungsvermögen und die Abgrenzung stärkte: Im Weiteren leiteten wir die Therapie oft mit geschrittenen Distichen (Hexameter) ein. An Gedichten wurde geübt: Vermächtnis (R. Hamerling), Heliand (Stabreimdichtung aus dem Mittelalter), Steht ein Kirchlein im Dorf (R. Reinick). Türmerlied aus "Faust" (J. W. Goethe). Texte zu den Temperamenten. Die Patientin übte von Anfang an konsequent während der Schübe. Nach 2 Jahren mit kurzen Therapieintervallen zur Auffrischung (ca.4x jeweils), kam sie auch längere Zeiten ohne Sprachgestaltung aus. Sie konnte aber im Beobachtungszeitraum von 5 Jahren immer wieder auf die gelernten Elemente zurückgreifen oder nahm in ca. jährlichem Abstand wieder einige Stunden.

4.1 Befund nach Abschluss der Therapie:
Frau X. erlebte die Therapie als zentrales Element der ganzen anthroposophischen Behandlung. Sie habe gelernt, die zur Krankheit führenden Tendenzen in sich zu erkennen und mit Hilfe der Sprachgestaltung immer wieder zu überwinden. Daraus gewann sie Ich-Stärkung, mit der sie bald auch ihrem Mann gegenüber souveräner auftreten konnte.("Ich habe erkannt, dass vieles sein Problem ist...") Trotzdem wollte und konnte sie ihre Ehe und das Familienleben aufrecht halten und sah in den gut gedeihenden Kindern ihre Entschlüsse bestätigt. Heute plant sie auch beruflich eine neue Ausrichtung, nachdem sich ihr Mann frühzeitig pensionieren liess. Sie entwickelte ein lebhaftes Interesse für Dichtung und Sprache und begann sich auch theoretisch mit der Therapie auseinander zu setzen.

5.1 Bemerkungen, Therapieempfehlung:
Besonders interessant war hier die notwendige formende Arbeitsrichtung während der Schübe und die mehr ausstrahlende Sprachführung dazwischen. Rudolf Steiner spricht im Vortrag vom 28.8.1923 (GA 319) für den Astralleib und die Ich-Organisation von deren notwendiger Polarität im oberen und unteren Menschen. Dies bedeutet: Eine ausstrahlende ("antimonisierende") Tätigkeit im oberen, bewussten Menschen hat eine abrundende ("albuminisierende") im unbewussten, unteren Menschen zur Folge und umgekehrt. Im Falle des Typhus, in dessen erweiterten Formenkreis die Kolitis gerechnet werden kann, seien die ausstrahlenden Kräfte im unteren Menschen zu schwach geworden, was im oberen einer zu schwachen Formkraft entsprechen würde. Dieses Bild trat typisch bei dieser Patientin auf. Sie konnte die Lippenlaute kaum formen und die abrundenden Gaumenlaute waren ohne Kraft. Die therapeutische Ratio war also, die abrundenden Formkräfte im oberen Menschen sprachlich zu stärken, was mit der ersten Reihe von Übungen angestrebt wurde. In den schubfreien Zeiten zeigte sich dann die therapeutische Notwendigkeit, sprachlich das umgekehrte Prinzip anzuwenden. Dies ergab sich nicht aus Überlegungen, sondern aus der Wahrnehmung der Patientin. In Zukunft wäre eine Erweiterung des künstlerischen Erlebens durch Mal- oder Musiktherapie möglich.

6.1 Bericht der Patientin, 5 Jahre nach Therapiebeginn:
Durch die Sprachgestaltung, mit der ich erstmals in der Ita-Wegman Klinik konfrontiert wurde, bekam ich vor allem innere Stärke. Mein ausgesprochenes Harmoniebedürfnis lies es vorher nicht zu, Spannungen auszuhalten. Mir fehlte die Kraft dazu. Durch die gewonnene Ruhe lernte ich mich nach aussen besser abzugrenzen. Dies erlaubt mir wiederum, mehr auf meinen Körper zu hören und auch regelmässig, ohne schlechtes Gewissen, z.B. eine Mittagspause einzuschalten. Meine Durchfälle, die damals 4-6x pro Jahr kamen und jeweils 4-8 Wochen dauerten, kenne ich nicht mehr.


7.1 Aus dem Bericht des behandelnden Arztes zur Situation der Patientin nach 8 Jahren in Bezug auf Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Therapie:
Zur Anamnese: Im Alter von 30 Jahren, um die Zeit der Geburt ihres ersten Kindes, zeigten sich erste Symptome einer Kolitis mit wässrigen Durchfällen und Bauchkrämpfen. Seither gab es Schübe die teilweise mit Salofalk®, zuerst auch mit Prednison® behandelt werden mussten. Die Therapeutische Sprachgestaltung begann im Alter von 43 Jahren, nachdem wegen eines Kolitisschubes mit blutigen Durchfällen, starker Zunahme der Stuhlfrequenz und massivem Gewichtsverlust(>6Kg) eine Hospitalisation notwendig geworden war. In der Folge nahmen unter einer anthroposophisch orientierten Begleitmedikation die notwendigen Konsultationen zunehmend ab. In den letzten Jahren habe ich die Patientin nur noch sporadisch gesehen. Treten leichte Durchfallschübe auf (<1x pro Jahr) so hat die Patientin gelernt damit umzugehen, nimmt vorübergehend Salofalk® Tabletten (1-3x tgl.) dazu Bolus alba und Antimonit D6 - Cichorium D3 - Belladonna D6 Tropfen. Hauptsächlich (siehe oben) intensiviert sie die schubspezifischen Sprachübungen und kann damit die seltenen Durchfallschübe seit Jahren selbständig abfangen. Dies ist nach der langen und schweren Anamnese, sowie verschiedenen früheren Therapieversuchen bei mehreren Ärzten, doch ein erfreulicher Verlauf, der für die Kostenträger auch aus wirtschaftlichen Gründen interessant ist.

Patient, 35 Jahre
Diagnose: Polyp mit Kontaktulkus am Stimmband
Stephan Thalassinos, Dr. med. Gerhard Roeber

1.1 Behandlungsdauer:
Januar bis Oktober 1997. 13 Einheiten à 30 Minuten

2.1 Ersteindruck:
Der Patient ist ca. 1,90 m gross, schlank, hat Haare im "Che-Guevara"-Schnitt und ist gepflegt gekleidet. Er kenne diese Art von Therapie nicht, aber sein Arzt habe es ihm angeraten, und so habe er sich entschlossen, es zu versuchen.

2.2 Biographische und medizinische Aspekte:
Patient 35 Jahre alt, glücklich verheiratet, ohne Kinder. Er arbeitet als Architekt in einer Architektengemeinschaft und hat z.Zt. der Behandlung nur wenig Aufträge.

Diagnose: (Mai 1996) Polyp mit Kontaktulkus am Stimmband, also Verhärtungserscheinungen, die ihn sehr unangenehm beim Sprechen störten. Nach einer operativen Entfernung bildeten sich diese in kürzester Zeit wieder nach.

Prognose: Operativ nicht zu bessern. Nach Auskunft des behandelnden Spezialarztes müsse mit jahrelangem Weiterbestehen des Kontaktulkus gerechnet werden.

Als Begleitsymptome: Heiserkeit und seelische Befangenheit in Gesprächssituationen. Der Patient leidet zudem an Diabetes mellitus und spritzt Insulin.

2.3 Sprachtherapeutische Diagnose:
Haltung: Die Haltung wirkt gestaut im Kehlkopf-Schlüsselbein-Bereich, der Kopf ist leicht nach hinten verlagert, dadurch das Kinn etwas vorstehend, die Schultern leicht nach vorn zusammengezogen. Polar dazu erscheinen die Gliedmassen lose, ganz locker und ungeführt.

Atem: Der Patient spricht, als ob er den Atem dabei anhalten würde.

Stimme: Sonor, ganz hinten wie im Kehlkopf "steckend".

Artikulation: Die Artikulation ist an keinem der Ansatzorte in irgendeiner Weise geformt. Dadurch entsteht ein rein vokalischer, sonorer Klangeindruck.

Denken: Herr A. zeigt eine klare, schlichte Ausdrucksweise.

3.1 Therapieziel:
Kurzfristig: Hervorlocken der Stimme von hinten nach vorn. Aktivierung der Ausatmung beim Sprechen. Harmonisches Ergreifen der Gliedmassen. Stütze in der Artikulation.

Mittelfristig: Durch regelmässiges Üben eine dementsprechende Entlastung der Stimmbänder

Langfristig: Stabilisierung dieses "entlasteten" Sprechens bis in die Alltagssprache hinein.

3.2 Therapieverlauf:

Verdeutlichung der Therapiemittel: Voraussetzung: Der Patient will selber üben. Er kann nur alle 2 Wochen kommen, ist für die Therapie jeweils insgesamt 5 Stunden unterwegs. Durch beruflich bedingte Verschiebungen ergab sich eine Spanne von 2-4 Wochen zwischen den einzelnen Therapieeinheiten.

1. Als grundlegende Übung Hexameter im Laufen mit herabführender Armbewegung (Ansatz bei neurasthenischer Konstitution). Ergreifung der Gliedmassen durch das Sprechen; Aktivierung der Ausatmung.

2. Pfiffig pfeifen ... a) mit der Fussspitze auf jedes "pf"; b) mit einer Armgebärde. Dieses sollte kräftig geübt werden, was der Patient auch sehr intensiv tat. Zum Ausgleich übte er es dann ab der darauffolgenden Stunde zusätzlich noch "fein". Wir begannen mit dem ersten Teil der Übung und erweiterten das im Verlauf der weiteren Arbeit um den 2. und 3. Teil. Die Konzentration auf das "pf" in der Übung ermöglichte zusätzliche Aktivität im vorderen (Lippen) Ansatz.

3. Wuchtig wogt Wirbelwind... (mit Ball nach unten prellen). Zur Unterstützung des kräftigen Lippenansatzes und zur Aktivierung der Ausatmung.

4. Im zweiten Teil der Therapieeinheit machten wir gemeinsam noch verschiedene Übungen zum umfassenderen Ergreifen der Lautansätze.
Therapeutischer Prozess: Zunächst den Lippenansatz aktiv ergreifen und darauf aufbauend den Zahn-/Zungenansatz, und schliesslich auch den Gaumenansatz. Dabei eine Aktivierung des Ausatmens im Sprechen und geführte unterstützende Bewegungen der Gliedmassen. Der Patient übte regelmässig, fleissig und konsequent. Er entwickelte in einem bestimmten Zeitpunkt des Therapieverlaufes auch eine sachgemässe Eigeninitiative in der Gestaltung eines Sequenzteils, was bestätigte, dass er in die eigentliche Qualität der Arbeit hineinzufinden vermochte.

Entwicklungsstufen:* Zunächst verschwand die Heiserkeit während des Übens, trat im Alltag jedoch weiterhin auf.* Dann fiel sie auch im alltäglichen Sprechen weg und tauchte lediglich beim Telefonieren auf.* Vor den Sommerferien ging der Patient schliesslich zu einer Kontrolluntersuchung: Der mehr als 1 Jahr zuvor abgetragene Polyp war nicht wieder nachgewachsen und das prognostisch als ungünstig bezeichnete Kontaktulkus am Stimmband bis auf minime Reste abgeheilt.* Nach den Sommerferien kam der Patient mit der Nachricht, dass bei einer weiteren Untersuchung die Granulationsgewebe und das Ulkus ganz verschwunden waren und er als symptomfrei entlassen wurde. Interessant dabei war, dass Herr A. seit Juni geschäftlich voll mit Aufträgen abgedeckt war.

4.1 Befund nach Abschluss der Therapie:

Herr A. konnte aufgrund eines konsequenten regelmässigen Übens bis in das Gewohnheitssprechen hinein eine Entlastung der Stimmbänder erreichen. Das Sprechen in der Ausatmung konnte wesentlich verbessert werden. Durch die aktivere Artikulation wurde die Sprechstimme von hinten nach vorne verlagert und "an die rechte Stelle gerückt".

5.1 Therapieempfehlung:

Da die Besserung sich aufgrund eines aktiven Übens entwickelte, sollte dieser Übprozess fortgesetzt werden und in grösseren Zeitabständen (1/2 oder 1 Jahr) durch weitere Übsequenzen ergänzt werden, so dass mit der Zeit der gesamte Lautumfang (und im besonderen die Vokale, welche am engsten mit der Stimme zusammenhängen) gewohnheitsmässig in gesunder Weise ergriffen werden können.

6.1 Aus dem Bericht des behandelnden Arztes bezüglich Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Therapie:
Der Patient, der bei Diagnosestellung 34 Jahre alt war, ist mir seit seinem 18. Lebensjahr bekannt. Seine kindliche Entwicklung war weitgehend unauffällig, die schulischen Abläufe ungestört. Im 31. Lebensjahr wurde ein Diabetes mellitus, Typ I festgestellt. Insulin-Therapie und ergänzende Behandlung mit Weleda-Medikamenten. Gute Einstellung des Diabetes möglich, trotz Unregelmässigkeiten während des Studiums und verschiedener Praktika (Architektur-Studium). Im Rahmen der Abklärung wegen zunehmender Heiserkeit wird im Mai 1996 ein Granulationspolyp, verbunden mit einem Kontaktulkus am rechten Stimmband, diagnostiziert. Nach einer ersten Abtragung zu dieser Zeit zeigte sich bei einer Kontrolle 1/2 Jahr später erneut polypöses Wachstum. Die Prognose des behandelnden ORL-Spezialisten ist ungünstig: Mit möglicherweise jahrelangem Weiterbestehen des Kontaktulkus muss gerechnet werden. In dieser Situation wird, neben medikamentösen Massnahmen durch potenzierte und Weleda-Medikamente im Sinne der anthroposophisch ergänzten Therapie, die Therapeutische Sprachgestaltung begonnen. Die tief in den Gaumenbereich und Hals zurückgezogene, fast gutturale Sprache des Patienten war der äussere Anlass für diesen Therapie-Entschluss. Die Einsicht in die Möglichkeit, auf diesem Wege harmonisierende Gestaltungskräfte anzuregen, bildete das medizinisch-therapeutische Motiv.Der disziplinierte Patient hat trotz erheblicher beruflicher und familiärer Beanspruchungen und auch trotz des zeitlichen Aufwandes den Therapeuten zu erreichen, regelmässig die Therapiestunden besucht und vor allen Dingen selber regelmässig und intensiv geübt. Das sich im Verlaufe der Wochen und Monate unter der Übungstherapie und begleitender medikamentöser Therapie verbesserte Befinden konnte durch eine abschliessende Untersuchung des behandelnden ORL-Arztes auch objektiv bestätigt werden: Abheilung des Ulkus, kein neues granulomatöses Polypen-Gewebe.

Dieser Verlauf ist, auch im Hinblick auf die fachärztlich geäusserte, nicht sehr günstige Prognose, ausserordentlich erfreulich. Dies umso mehr, als die diabetische Stoffwechsellage eines Patienten bekanntermassen mit verminderten Heilungstendenzen einherzugehen pflegt. Weitere operative Massnahmen, so eine in Erwägung gezogene Laser-Therapie, konnten verhindert werden. Die klarere Sprechfunktion wirkte sich auch auf den beruflichen Alltag im Sinne eines kräfteschonenderen Einsatzes stimmlicher Mittel aus. Der Patient ist ausgeglichener als vorher und voll arbeitsfähig.

Diagnose: Hydrocephalus internus.
Dr. med. Caroline Rosengarth, Dr. med. Wolfgang Rissmann, Peter Meyer

1.1 Behandlungsdauer:

24 Therapieeinheiten, 4x wöchentlich im Rahmen eines 7wöchigen stationären Aufenthalts in der Friedrich-Husemann-Klinik, Buchenbach (D).

2.1 Ersteindruck:
Der Patient schaut während der ersten Therapieeinheit ständig nach seiner Uhr - das Üben scheint ihm aber nach kurzer Zeit großen Spaß zu machen. Er lacht viel und ist sehr motiviert, klagt aber immer wieder über anhaltenden Kopfdruck und Sehstörungen mit Doppelbildern. Er wirkt etwas distanzlos, hat eine deutliche Konzentrationsschwäche und ist räumlich schlecht orientiert. Es fällt auch eine leichte Gangataxie mit Unsicherheit und Fallneigung auf.

2.2 Biographisches

Seit 15 Jahren Hydrocephalus internus (progressiv); vor 5 Jahren Shunt - mehrmals OP wegen Funktionsproblemen, vor 2 Jahren wieder stillgelegt; von den Ärzten als "hoffnungslos" aufgegeben; zeitweise depressiv; seit 3 Jahren berentet. Der Patient hat sich scheiden lassen, seine 4 Kinder leben bei der Mutter. Er wandert viel, achtet auf gesunde Ernährung und bewusste Lebensführung und kennt den Verlauf seiner Krankheit genau.

2.3 Sprachtherapeutische Diagnose:

Haltung: Kopflastige, vorgebeugte Haltung. Starke Gleichgewichtsstörungen mit Unsicherheit und Fallneigung, die er durch schnelles Gehen zu kompensieren versucht.

Atmung: Sehr großes Atemvolumen: die eingeatmete Luft wird beim Sprechen nicht völlig verbraucht, dadurch starre, asthmaähnliche Thoraxstellung.

Stimme: Kräftige Stimme mit starker vokalischer Färbung.

Artikulation: Allgemein schlechte Artikulation, auffällig der Laute S (stimmhaft und scharfes SS nicht möglich) und W (geblasen mit Vibration der Lippen nicht möglich)

Denken: große Merkschwierigkeiten und Konzentrationsschwächen

3.1 Therapieziel:

Gedächtnis stärken, Gleichgewicht üben, Stimmung aufhellen

3.2 Therapieverlauf:

Verwendete Übungen und Texte:
Nimm nicht Nonnen in nimmermüde Mühlen
Mäuse messen mein Essen
Kurze knorrige knochige Knaben / Knicken manchem Männchen / Manchmal manchen Knorpel
Sieh silberne Segel auf fließendem Wasser
Zuwider zwingen zwar / Zweizweckige Zwacker zu wenig / Zwanzig Zwerge / Die sehnige Krebse / Sicher suchend schmausen / Das schmatzende Schmachter / Schmiegsam schnellstens / Schnurrig schnalzen
Walle Welle willig / Leise lispeln lumpige Lurche lustig
Richtig recht rechnen / Lehre liebt Leben / Mut machen mir mutige Menschen-massen A-Hexameter (Martens): An den Gestaden von Argos trafen sich abends die Alten
Wandelten lange am Strande und sprachen vom Gange des Tages
Sangen von Taten der Ahnen und Allem was bald sie erwartet
Daraus erstand ihnen Klarheit und Kraft für ihr Schaffen und Raten
Wandernde Stille (Christian Morgenstern)
Metamorphose der Pflanzen (J.W. Goethe)
Das Schöne bewundern (R.Steiner)

Die Therapieeinheiten gliedern sich jeweils in drei Teile:

1. Das Gedicht von Chr. Morgenstern wird rhythmisch als Atemübung abgeschritten. Es nimmt mit seinem 8hebigen Trochäus eine Sonderstellung in der Dichtung ein und zeichnet sich durch die Länge der Zeilen aus (Wie die Stille übers weite Wasser hergewandert kommt). Trochäus heißt "der Schreitende" und so soll der Fuß in jeder Länge bewusst aufgesetzt werden, die Zeile auf eine Ausatmung gesprochen und dabei die Luft aus den Lungen vollständig verbraucht werden. Dem Inhalt des Gedichts entsprechend soll der Schritt ruhig und langsam erfolgen.Gleichzeitig wird das Gedächtnis durch das Nachsprechen der langen Zeilen geübt.

2. Lautübungen: Durch das Aussprechen und starke Artikulieren der Laute M/N und K/N in den oben genannten Übungen soll eine leichte Vibration im Kopfbereich erzeugt werden. Diese wirkt über den Schädelknochen bis ins Gehirn, wodurch der Liquorüberdruck verringert werden soll. Auch diese Übungen werden langsam abgeschritten, so dass gleichzeitig Bewusstsein in den Füßen entsteht.Anschließend folgen meist Übungen mit stimmhaftem und scharfem S - oder Lautverbindungen wie Z/W, S, SCH/M, SCH/N (in der Übung "Zuwider zwingen zwar"). Zahnlaute (S, Z, SCH) wirken nach Rudolf Steiner direkt auf das Kopfge-biet ein, W, M, N erzeugen wieder die gewünschten Vibrationen.
Abschließend für diesen Teil erfolgt immer die Übung "Walle Welle willig" - hier geht es mir hauptsächlich um die Qualität des L als Repräsentant des Flüssigen, wir ahmen dabei die Bewegung einer strömenden Welle im Gehen nach und W zur Verbesserung der Artikulation. Alle Übungen werden immer 3- 15x wiederholt.

3. Rhythmisches Schreiten des Distichon (Hexameter/Pentameter im Wechsel) "Die Metamorphose der Pflanzen". Der Patient soll sich ganz auf den Rhythmus einlassen und sich dabei weniger auf den Text konzentrieren (Ich spreche immer die Halbzeile vor, schreite dabei die Längen ab und bleibe in der Zäsur stehen, worauf der Patient mir nachsprechend folgt). An dieser Stelle wähle ich auch im Wechsel den A-Hexameter - hier geht es mir um den Rhythmus in Verbindung mit dem A-Laut, der jedes Mal in den Längen der Dactylen erklingt. Das Aussprechen des A fördert nach Rudolf Steiner das Wohlbefinden im eigenen Leib und wirkt krampflösend. Später nehmen wir uns an dieser Stelle auch vermehrt die Übung "Richtig recht rechnen" vor. Diese therapeutische Übung wurde von Rudolf Steiner "zum Zurechtrücken des Astralleibs" gegeben (Harmonisierung im Seelischen). Die Lautfolge R (Luft), L (Wasser), M (Erde) wirkt dabei inkarnierend.Oft sprechen wir am Schluss den Spruch "Das Schöne bewundern". Dabei lassen wir uns wieder ganz auf den schwingenden Rhythmus ein (Amphybrachus) und bewegen dazu einen Arm mit.
Der Patient ist von Anfang an sehr motiviert, lässt sich auf die für ihn völlig neue Art des Sprechens der Laute ein und findet speziell die Übung "Nimm nicht Nonnen" sehr lustig - wiederholt sie gerne mehrmals nacheinander; nach dem Sprechen lacht er jeweils. Dies kann Ausdruck des Lebenssinn sein - vielleicht weil er durch die leichten Vibrationen im Kopfbereich (N/M) eine wohltätige Wirkung empfindet

4.1 Befund nach Abschluss der Therapie:
Auffällig ist, dass sich die Gleichgewichtsstörungen zunächst beim Hexameter-Sprechen und -Schreiten signifikant verbessern - im Verlauf der 7-wöchigen Therapie fast vollständig ausbleiben. Der Patient kann zum Sprechen der Übungen und Texte langsam und sicher geradlinig vorwärts schreiten, sich aber auch schwingend vor und zurück bewegen. Darüber ist er sehr erstaunt. Die Koordination der Bewegungen ist deutlich besser geworden (Bewegungen sollen der Sprache voraus gehen).
Die Artikulation (S/W) hat sich verbessert und der Patient hat gelernt, die eingeatmete Luft beim Sprechen vollständig zu verbrauchen - beides kann sich positiv auf den Überdruck im Kopfbereich auswirken.
Auffällig ist auch die gesteigerte Merkfähigkeit und Konzentration und der Patienten klagt beim Abschluss der Therapie kaum mehr über Kopfdruck.
Subjektiv empfindet er, dass ihm die Sprachgestaltung während des Klinikaufenthalts am meisten geholfen hat und er sucht nach Möglichkeiten, die Sprachtherapie extern fortzusetzen.

5.1 Therapieempfehlung:

Ich kann die Absicht des Patienten, die Therapie extern weiterzuführen, nur unterstützen und vermittle ihm Adressen in seinem Wohngebiet, hat er doch neben den oben erwähnten erfreulichen Verbesserungen wieder deutlich mehr Lebensmut und Freude entwickelt um mit seiner schweren Krankheit zu leben.

6.1 Aus dem Bericht des behandelnden Arztes bezüglich Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Therapie:

Von ärztlicher Seite fiel auf, dass im Verlauf der Behandlung die Stimmung sich kontinuierlich aufhellte, die Verlangsamung von Antrieb und Denken traten mehr und mehr in den Hintergrund. Auffallend war, mit welch großer Freude und Motivation der Pat. die Therapieeinheiten der Sprachgestaltung wahrnahm und von diesen in den darauf folgenden ärztlichen Gesprächen berichtete. Er selbst konnte an sich beobachten, dass die Konzentrationsfähigkeit zunahm sowie Denken und Sprache flüssiger und klarer wurden. Des weiteren beobachtete er, dass die Gleichgewichtsstörung mit Fallneigung und Schwanken während der Therapieeinheiten deutlich zurückgingen und auch im Anschluss an die Therapieeinheiten die Besserung anhielt. Zum Entlassungszeitpunkt wurde von ärztlicher Seite deutlich, dass der Patient tatsächlich eine Aufklarung von Denken, Sprache und Konzentrationsfähigkeit erreicht hatte. Aufgeklart waren auch die Stimmung, die Schwingungsfähigkeit und die Gleichgewichtsstörungen waren deutlich gebessert. Der Patient erlebte die Sprachgestaltung als große Hilfe und Chance, mit seinem Beschwerdebild auch in Zukunft Hilfen zu erhalten, er plante an seinem Heimatort, die Therapie der Sprachgestaltung fortzuführen.

Vor dem Hintergrund des schweren Krankheitsbildes sowie der langen Beschwerdeverlaufzeit erscheint der Erfolg der Sprachgestaltung über eine nur 7-wöchige Behandlungszeit erstaunlich.
Hilfen von allopathisch medikamentöser, psychotherapeutischer und anderer therapeutischer Art konnten in den vergangenen Jahren bei dem Pat. lediglich eine leichte Verbesserung des Allgemeinzustandes erreichen (so z.B. durch die jährlich durchgeführten Kuren).
Durch die Sprachgestaltungstherapie scheint dem Pat. eine Unterstützung gegeben zu sein, durch die er auf lange Sicht eine deutliche Beschwerdebesserung bzw. Beschwerdefreiheit erzielen kann. Somit war die Verordnung der Sprachgestaltung aus meiner Sicht für diesen Pat. sinnvoll und segensreich. Im Hinblick auf seine Zukunft eine Chance mit dem schweren Krankheitsbild mit wieder mehr Lebensfreude zu leben.